Blue Custer I

9. Oktober 2009

Die Geschichte von Blue Custer

Etwas verloren stand sie am Gepäckband der Flugankunftshalle im John-F.-Kennedy-Airport. Endlich kam ihr etwas schäbig aussehender Koffer herangefahren. Hier war sie nun, Amerika, New York City. Die größte Stadt, die sie bisher sah, war Aberdeen gewesen. Aber Aberdeen ist ein Dorf, im Vergleich zur Millionenmetropole New York. Nach dem sie ihren Koffer vom Transportband gepflückt hatte begab sie sich zur Paßkontrolle. Nur kurz wurde sie vom Zollbeamten gemustert und nun war sie wirklich im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Von New York aus wollte sie ihre Rundreise starten, die sie von ihren Eltern zum Abschluß ihres Studiums geschenkt bekommen hatte. Schon allein das bunte Treiben des Airports schlug sie in seinen Bann. Die Menschen wuselten scheinbar chaotisch durcheinander und ein ständiges Gemurmel und die freundliche Damenstimme, die die Ansagen für die Fluggäste machte, waren eine Geräuschkulisse, die sie bis dahin nicht kannte. Als sie den Zoll passiert hatte, kam sie auf eine Traube von Menschen zu, die Schilder der verschiedensten Reisegesellschaften oder mit Namen von Ankömmlingen empor hielten. Irgendwo in diesem Schilderwald entdeckte sie das Schild der Reisegesellschaft, bei der sie gebucht hatte. Sie ging auf die Trägerin des Schildes, welche schreiend bunt gekleidet war, zu. „Mein Name ist Blue Custer.“ „Willkommen in Amerika, Herzchen. Der Bus steht auf Platz 26, er hat die Nummer 135. Ausgang Süd.“ Sie lächelte Blue kurz an und hielt dann nach weiteren Touristen Ausschau, die bei der Gesellschaft gebucht hatten. Der Busfahrer nahm ihren Koffer ab und verstaute ihn im Kofferraum des Busses, Blue suchte sich unterdessen im Bus einen Platz und betrachtete die Lichter der Stadt. Der Bus füllte sich und nachdem die Reisebegleiter alle Mitreisenden nochmals erfaßt hatten, fuhr der Bus endlich an. In den kommenden Tagen würde Blue einige Großstädte der amerikanischen Ostküste kennenlernen.
Die Reise ging von New York südwärts nach Philadelphia, die erste Hauptstadt der USA, dann nach Washington der jetzigen Hauptstadt der USA über das Apalachengebirge hinweg nach Niagara. Jetzt im September boten die Apalachen ein atemberaubendes Farbenspiel. Die Wälder so bunt, wie nirgends auf der Welt. Blue genoß die Fahrt durch das Gebirge sehr, die großen Städte waren zwar beeindruckend, hatten aber für sie auch was beängstigendes. Der Bus zottelte langsam nordwestlich und nach einigen Stunden erreichte er dann endlich Niagara. Es war mittlerweile Nacht und die Besichtigung der Niagara-Fälle waren für den nächsten Tag vorgesehen.
Gewaltig tosen unglaubliche Wassermassen in die Tiefe. Und irgendwie schienen sie einen mitreißen zu wollen. Fast schon hypnotisch wirkte der Anblick der fallenden Wasser auf die Menschen, die sich an den Geländern festhielten. Der Tag an den Niagara-Fällen war der schönste Tag in ihrem Leben, der letzte schönste Tag in ihrem Leben. Abends fuhr die Reisegruppe weiter nach Toronto. Außer einer kleinen Paßkontrolle merkte man kaum, daß man jetzt nicht mehr in Amerika war, sondern in Kanada. Naja, man bekam als Wechselgeld kanadische Münzen wieder, das war aber auch schon der gravierendste Unterschied. Spät abends erreichte die Reisegruppe dann Toronto und somit auch das Hotel. Nach einem kleinen Snack, zu mehr hatte Blue keinen Hunger, begab sie sich in ihr Zimmer. Auf der einen Seite war sie sehr müde, aber auf der anderen Seite war sie noch richtig aufgekratzt. Der Tag war einfach wunderschön gewesen. Die Sonne, die laue Luft, der Regenbogen über den tosenden Wasserfällen von Niagara, der unendlich weite und blaue Himmel. All diese Eindrücke wirkten noch nach. Schlaflos wälzt sie sich hin und her, selbst in der Nacht schienen der Geräuschpegel der Stadt nicht abzunehmen. Nach einigen Minuten, die Blue wie Stunden vorkamen, stand sie auf. Sie zog sich wieder an und beschloß noch einen Spaziergang zu machen. Außerhalb des Hotels nahm der Lärmpegel nochmals zu. Entfernt drangen die Sirenen von Polizei- oder Rettungsfahrzeugen an Blues Ohr. Der Verkehr schien nur sehr langsam abzuebben und das, obwohl es schon sehr spät war, kurz nach 01:00 Uhr Nachts. Blue achtete nicht darauf, wohin sie ihre Schritte lenkte, sie war, wie so oft wenn sie spazieren ging, am träumen. Irgendwann vernahm sie Stimmen, aggressive Stimmen.

„Los Kleine, rück die Kohle raus. Und wenn Du schon dabei bist, Deinen Schmuck und die Uhr auch gleich.“

Dreckiges Gelächter erklang. Blue spähte vorsichtig um die Ecke in eine Hauseinfahrt hinein. An eine Hauswand gelehnt stand eine Frau, ihre blonden Haare hatte sie zu einem strengen Zopf gebunden, sie trug eine enge Jeans, T-Shirt und eine kurze Lederjacke. Ihre Füße steckten in Turnschuhen. Ihr Gesicht war in dem schlechten Licht der Hauseinfahrt fast nicht auszumachen. Vor ihr standen zwei Junge Männer, der eine hielt ein Messer in der rechten Hand, dessen Klinge das Licht der etwas entfernt stehende Straßenlaterne reflektierte. Der andere junge Mann hielt eine Kette in den Händen, die er gefährlich schwingen ließ.

„Und wenn Du uns Deine Kohle gegeben hast und wir gut gelaunt sind, dann darfst Du uns noch einen blasen. He he he.“

Als Blue das hörte zuckte sie kurz zusammen und trat dann entschlossen in die Hauseinfahrt ein. Sie war eigentlich nicht besonders mutig, aber wenn sie etwas haßte, dann waren es solche Art von Verbrechen.

„Kann ich Ihnen helfen?“

Sprach Blue die Frau an. Die beiden jungen Männer ruckten zeitgleich zu Blue herum. Dann überschlugen sich die Ereignisse. Der rechte Fuß der blonde Frau flog hoch und trat dem einen jungen Mann das Messer aus der Hand. Offensichtlich verlor er nicht nur das Messer, sondern seine Hand brach auch noch bei dem Aufprall der Fußspitze gegen seine Hand. Er jaulte auf. Die Frau schien förmlich zu explodieren. Während der Messerträger wimmerte:

„Meine Hand, Du verschissene Hure…. Meine Hand…. Du Miststück.“,

stürzte sie sich auf den anderen. Sie schien die Schläge mit der Kette völlig zu ignorieren und als er ein weiteres Mal ausholte um sie damit zu schlagen, da faßte sie seinen Kopf mit beiden Händen, ruckte kurz und er viel leblos zu Boden. Blue war wie gelähmt. Beobachtete das Geschehen mit Grauen aber auch mit Faszination. Die blonde Frau schien sie völlig zu ignorieren, sie packte den Messerträger am Schopf, der sich wegen seiner gebrochenen Hand nur schwach wehrte.

„Arghhh… Du Fotze, laß mich los….. .“

Sie riß seinen Kopf nach hinten und Blue sah, zwei etwas zu lang geratene Eckzähne, die sich in den Hals des jungen Kriminellen bohrten. Schlagartig verstummte der junge Mann, er gab eher ein ekstatisches Stöhnen von sich, welches den Eindruckt erweckte, daß er es genoß, ausgesaugt zu werden. Die plötzliche Ruhe ließ Blue aus ihrer Starre erwachen. Sie wich langsam zurück zur Straße und als sie diese erreichte, fing sie an zu laufen. Sie wußte nicht wohin, Hauptsache weg, weg von dem Geschehen, weg von dem Grauen.

Unterdessen war Rebecca Swanson fertig mit ihrem grausigen Mahl beendet. Sie hat den jungen Mann einfach ausgesaugt, leergetrunken. In der Nähre stand ein Müllcontainer. Mühelos hob sie den Leichnam auf, warf ihn in den Container und den anderen Leichnam gleich dazu. Blut von Toten schmeckte nicht so gut, auch wenn sie gerade frisch verstorben war und Rebecca war nicht so hungrig. Rasch verteilte sie ein paar Müllsäcke über die beiden Leichen, dann mußte sie sich beeilen. Sie mußte dieses dumme Ding finden, mit dem seltsamen Akzent. Was mischte sie sich auch ein. Nun, sie würde sie finden und töten, denn Zeugen konnte sie nicht gebrauchen. Es war leicht der Spur der schwarzhaarigen jungen Frau mit dem seltsamen Akzent zu folgen. Ihr Schweiß hinterließ in der Luft eine deutliche Spur, die nach Angst roch. Rebecca lief los, eher im mäßigen Tempo, als würde sie joggen. Sie holte Blue in einem Park ein, die sich dort auf eine Bank gekauert hatte. In der Umgebung des Parks fühlte sich Blue sichere, sicherer als mitten zwischen Häusern und den Straßenschluchten. Sicher wie zu Hause. Eine Hand legte sich auf ihre Schulter und Finger drückten ihr tief ins Fleisch. Mit schmerzverzerrtem Gesicht drehte sie ihren Kopf und sah Rebecca geradewegs in die Augen.

„Ich werde Dich töten…..“

Blues Augen füllten sich mit Tränen, sie zitterte am ganzen Körper. Der Blick von Rebecca war kalt, einfach nur kalt. Mit der anderen Hand faßte sie Blue in ihr Haar und bog ihren Kopf zur Seite weg, so daß ihr weißer Hals entblößt vor ihr lag. Sie beugte sich zu ihr herunter. Blue kniff die Augen zu und wartete auf den Schmerz, aber nichts geschah. Rebecca lockerte den Griff in Blues Haaren.

„Nein, ich habe es mir anders überlegt. Du wirst mir dienen.“

„Ich… werde … was?“

„Mir dienen, ich brauche jemanden, für die Tage.“

„Nein, niemals…. wie könnte ich einem so abscheulichen Wesen, wie Ihnen dienen?“

Rebecca ignorierte Blues Worte, führte ihr eigenes Handgelenk an ihren Mund und biß sich selber in die Schlagader am Handgelenk. Dunkel quoll das Blut aus der Wunde heraus. Sie hielt ihr Handgelenk vor Blues Gesicht.

„Los, trink das.“

Zischte sie. Blue preßte ihre Lippen fest aufeinander und drehte den Kopf weg. Der Druck auf ihre Schulter erhöhte sich und die Finger von Rebecca bohrten sich noch tiefer in Blues Fleisch.

„Nun mach schon.“

Blue gab dem Druck nach und öffnete widerwillig ihre Lippen. Dunkelrote Tropfen vielen auf ihre Lippen, ihre Zunge und in ihren Mund. Süßer und metallischer Geschmack füllten ihn aus. Ein Würgereiz veranlaßte sie dazu, das Blut auszuspucken. Rebecca löste kurz ihre Hand von Blues Schulter und schlug ihr hart ins Gesicht.

„Schluck das jetzt, ich habe nicht ewig Geduld.“

Wieder hielt sie Blue ihr Handgelenk hin und wieder tropfte Blut in Blues Mund. Diesmal spuckte Blue das Blut nicht aus und schluckte es herunter. Sie spürte wie das Blut langsam fast zäh ihre Speiseröhre herunter kroch. Der Geschmack, der den Würgereiz in ihr auslöste kam ihr nun süß und unglaublich wohlschmeckend vor. Wo sie sich zuerst noch geweigert hatte, da wollte sie es nun plötzlich selber. Sie ergriff Rebeccas Arm und ihre Lippen schlossen sich um die Wunde. Sie fing an das Blut nicht nur abzulecken sondern fast gierig schon zu saugen. Ihr Verstand schrie dagegen in ihrem Kopf. — Nein Blue, was tust Du?? — Aber ihr Körper reagierte nicht auf den Protest, im Gegenteil. Immer mehr wollte sie von dem süßen Blut, dem köstlichsten Getränk was ihr Gaumen je schmecken durfte. Rebecca betrachtete zynisch die Wandlung von Blue. Sie würde ihr eine ergeben Dienerin sein. Sie nahm sich die Zeit Blue genauer zu betrachten. Blue gefiel ihr, äußerlich. Aber ihre Schwäche, die sie vorhin so stark verspürte, die verabscheute sie. Nun, Blue sollte ihr ja nur dienen, sie mußte sie ja nicht lieben. Sie würde sie benützen, wie sie Gegenstände benützte.

„Genug jetzt. Du hast genug getrunken.“

„Noch einen Schluck, bitte.. .“

Aber Rebecca zog den Arm einfach weg, leckte selber über die Wunde, welche sich unverzüglich schloß, als sei sie nie dagewesen. Blue beobachtete das fasziniert. Angst verspürte sie nicht mehr. Im Gegenteil, auf eigenartige Art und Weise fühlte sie sich zu Rebecca hingezogen und zu gleich auch abgestoßen.

Dies alles geschah vor ca. einem halben Jahr. Seitdem ist Blue untrennbar mit Rebecca verbunden. Blue ist ein Mensch und Blue ist ein Ghul, abhängig vom Blut ihrer Meisterin, Rebecca. Immer nagt der Hunger nach Rebeccas Blut in ihr und wenn er unerträglich wird, dann gestattet ihr Rebecca von ihr zu trinken. Aber manchmal auch nicht. Wenn Rebecca verärgert ist, läßt sie Blue leiden, rein aus Haß. Blue organisiert das alltägliche öffentliche Leben. Behördengänge, Einkäufe und solche Sachen.
Blues Eltern haben eine Suchanzeige aufgegeben, nachdem sie aus ihrem Urlaub nicht zurückkehrte. Und noch haben sie die Hoffnung nicht aufgegeben….

-tbc-

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