Die Flucht (Zombie-Vampir-Geschichte)

9. Oktober 2009

Die Flucht

Gehetzt schaut sie sich um. Ihre Kleidung klebt an ihrem Körper. In wenigen Augenblicken würden ihre Verfolger sie erreicht haben. Und sie konnte nicht entkommen, denn der Weg war zu ende.
Sie hatte auf ihrer Flucht einen Fehler begangen, sie war in ein Gebäude geflohen und fatalerweise war sie in diesem Gebäude nach oben geflohen. Diesen Fehler würde sie nun bezahlen, mit ihrem Leben. Jeder noch denkende Mensch wusste, dass Gebäude in diesen Zeiten Todesfallen waren und dennoch war sie hinein gelaufen. Seit es damals begonnen hatte, hatten die Menschen gelernt zu überleben. Sie verloren ihre Skrupel, auf diese Wesen, die einmal Menschen waren, zu schießen oder sie anderweitig zu vernichten. Der Vorteil der denkenden Menschen ist, dass sie schnell sind und dass sie denken können.
Der Vorteil dieser Wesen ist, dass sie schon tot sind.

Doch nun nutze es ihr nichts mehr, dass sie schnell ist und denken kann. Sie hatte einen tödlichen Fehler begangen, sie war in diesem Gebäude in eine Sackgasse geraten. Ausgerechnet sie, die so gut im Überleben war. Sie hatte gelernt mit Waffen umzugehen und sie hatte gelernt zu kämpfen. Das Überleben hatte sie stark gemacht, ihr Körper ist durchtrainiert und ihre Reflexe ausgezeichnet. Aber nun wird alles zu ende sein.
Stimmen ohne Sprache und Worte dringen an ihr Ohr, nähern sich ihr. Sie schaut sich panisch um, immer noch hoffend einen Ausweg zu finden. Vor ihr und an ihrer rechten Seite befindet sich eine Wand, links von ihr eine Brüstung und hinter ihr diese Wesen, die einmal Menschen waren. Sie späht über die Brüstung, alles was sie sehen kann ist eine bodenlose Tiefe, eine undurchdringliche Schwärze. Ca. ein Meter fünfzig bis zwei Meter von der Brüstung entfernt ragt eine metallene Stützkonstruktion bis an das Dach dieses seltsamen Gebäudes. Das erste Wesen tastet sich um die Ecke, aus seiner Kehle kommen undefinierbare Laute. Es hat nur einen Antrieb in seiner Existenz. Es braucht Nahrung. Es braucht lebende Nahrung. Fleisch, Menschen und zwar lebend.
Langsam und bedächtig wankt es auf sie zu. Seine Haut ist bleich und um seinen Mund herum schimmert bräunlich getrocknetes Blut von vorangegangenen Mahlzeiten. Seine Haare kleben an seinem Kopf, seine Kleidung ist fast nicht mehr als solche zu erkennen. Das schmutzige Hemd ist über der Brust aufgerissen und in seiner Brust klafft ein hässliches ausgefranztes Loch. Sein Blick ist starr und tot und nur die unheimlichen Geräusche die ihm über die Lippen dringen und die Tatsache, dass es auf sie zuwankt zeugen von seinem untoten Dasein.
Sie reißt ihre Waffe hoch und richtet sie auf den Kopf des Wesens. Als es nah genug heran ist, drückt sie ab. Es ist ein Reflex von ihr. Zu spät fällt ihr ein, dass es ihre letzte Kugel war. Die Kugel, die sie für sich selber bestimmt hatte. Der Schädel des Wesens wird von der Kugel förmlich auseinander gerissen und das Wesen kippt nun endgültig tot zur Seite. Die Geräusche schlurfender Schritte verraten ihr, dass noch mehr dieser Wesen hinter ihr her sind und sie gleich erreicht haben müssen.
Ihr Blick gleitet wieder zu dieser Metallkonstruktion, die aus dem schwarzen Nichts tief unter ihr zu kommen scheint. Das Metall blitzt im strahlenden Sonnenlicht, welches durch das gläserne Dach fällt. In einer normalen Welt wäre heute ein wunderschöner Frühlingstag im Mai. Aber die Welt hatte sich verändert.
Das nächste Wesen schlurfte um die Ecke. Mit dem schief hängenden Kopf wirkte es irgendwie traurig. Aber es war nicht traurig, Emotionen besaß es nicht mehr. Der Kopf hing nur traurig zur Seite, weil sein Genick gebrochen war. Kurz nur schaute sie dieses Wesen an und bevor sie nachdachte kletterte sie auf die Brüstung und hechtete zu dieser Metallkonstruktion.
Würde sie diese erreichen, würde sie noch etwas weiterleben, würde sie diese verfehlen, dann würde sie in den endgültigen Tod springen.
Der endgültige Tod, vielleicht die bessere Wahl, denn sie würde dann nicht als eines dieser Wesen auf der Erde wandeln, sondern wirklich tot sein. Kalt und starr und irgendwann verrotten.
Als ihre Füße die Brüstung verließen, meinte sie noch kurz eine zarte Berührung an ihrer linken Ferse zu spüren und dann prallten ihre Hände auf diese Metallkonstruktion auf. Die anvisierte Strebe rutschte ihr aus den Fingern und sie fiel. Sie fiel nicht tief, ihre Hände fanden blitzschnell einen anderen Halt und ein scharfer Ruck in ihren Armen bremste den Fall. Mit ihren Füßen angelte sie blind nach einer Möglichkeit sich hinzustellen. Sehr lange würden ihre Hände und Arme ihr Gewicht nicht tragen können. Endlich hatten auch ihre Füße Halt gefunden. Nun konnte sie etwas ausruhen. Ausruhen und nachdenken.
Auf der Galerie, auf der sie soeben noch stand fanden sich immer mehr dieser Wesen ein. Ihr Geheul hallte schaurig durch das Gebäude. Sie hatten Nahrung gefunden und konnten es doch nicht erreichen. Einige von ihnen kletterten ebenfalls auf die Brüstung, aber statt zu springen ließen sie sich einfach nur hinunterfallen. Sie kann den Anblick dieser Wesen nicht ertragen. Vorsicht hangelt sie sich um diese Stahlsäule herum. Es ist eine gewaltige Konstruktion aus Stahlstreben. Der Hauptstützpfeiler dieses turmhaften Gebäudes, der Träger des gläsernen Daches. Auf der anderen Seite der Säule könnte sie das atemberaubende Panorama der Stadt genießen, welches in gleißendes Sonnenlicht getaucht war. Aber die Stadt war tot. So tot wie, fast alle ihrer Bewohner. Unendlich langsam verstreicht die Zeit. Ihr Blick wanderte immer öfter in die Tiefe. Irgendwo da unten verlor sich das Sonnenlicht, ging über in einen diffusen Schimmer und dann in unendliche Schwärze. Ihre Arme fangen an zu schmerzen und sie änderte ihre Taktik. Sie hängte nun ihr Körpergewicht an einen Arm um den anderen zu entlasten. Sie hoffte so länger durchzuhalten. Doch wozu sollte sie länger durchhalten? Niemand würde kommen und sie retten. Niemand wusste, dass sie hier war. Niemand, außer diese immerhungrigen Wesen. Diese Erkenntnis kommt ihr ganz nüchtern und kühl. Nüchtern und kühl stellt sie für sich fest, dass ihr Lebensweg hier endet. Einfach so. Niemand wird um sie trauern, niemand wird ihren Tod beweinen. Eigentlich sollte diese Erkenntnis sie traurig stimmen. Aber zu Trauer war sie schon lange nicht mehr fähig. Einmal noch lässt sie ihren Blick über die Silhouette der Stadt gleiten, einmal noch blickt sie in den Himmel und zur Sonne, dann zuckt sie wie entschuldigend die Schultern und lässt los.
Nicht ein Ton kommt über ihren Lippen während ihr Körper in die Tiefe rast, der Schwärze entgegen. Ihre Augen sind geöffnet und sie erwartet den knochenzerschmetternden Aufprall. Den Schmerz ihres zerberstenden Körpers, bevor das Nichts des Todes kommt. Ihr Körper hat das Sonnenlicht passiert und taucht in die Finsternis ein. Wie Stahlklammern legen sich plötzlich Hände um ihre Arme und Beine und fangen ihren Sturz hart ab. Brutal wird sie aus den Fall gerissen, kurz hat sie das Gefühl, dass ihrer Gliedmaßen ihr einfach ausgerissen werden, dann Ruhe. Noch immer hat sie die Augen geöffnet. Sie versteht nicht. Durch den raschen Wechsel vom Sonnenlicht in die Finsternis ist sie noch immer geblendet. Sie fühlt nun, dass ihre Beine losgelassen werden und jeweils zwei Hände ihre beiden Arme umfassen. Sie scheinen einfach in der Luft zu schweben, sie und ihre Lebensretter. Endlich kommen ihre Augen ihrer Bestimmung nach und sie erkennt einen düsteren Schein tief unten. Tief unten? Sie dreht ihren Kopf um zu sehen, wer sie da mitten in der Luft festhält. Sie hört nur sich selber atmen, niemanden sonst. Konnten diese Wesen etwa fliegen?
Sie schaut geradewegs in tiefschwarze Augen. Augen gefüllt mit einer unheilvollen Glut. Diese Glut war in den Augen der Untoten nicht zu sehen, es mußten anderen Wesen sein. Das Wesen auf der anderen Seite hatte den gleichen Blick, unheilvoll und hungrig. Ja hungrig, das war der richtige Ausdruck dafür. Jetzt bemerkte sie, dass sie sich abwärts bewegten. Sie konnte nicht feststellen wie, nur dass es geschah. Als sie wieder nach unten sah, bemerkte sie einen Lichtschein und Bewegung. Das Licht war unstet, es schien zu flackern, so wie Feuer. In diesem Lichtschein erblickt sie noch mehr Gestalten. Ihre Füße näherten sich dem Boden und endlich stand sie. Eigentlich hätte sie schon lange tot sein sollen. Und nun stand sie hier, umringt von diesen anderen Wesen. Wesen, die schweben konnten und nicht atmeten.
Der Ring um sie herum bricht auf und ein Mann kommt auf sie zu. Die anderen machten ihm respektvoll Platz. Bisher ist kein einziges Wort gefallen. Im Gegensatz zu den schaurigen Geräuschen der Zombies, war die Stille hier eine Wohltat und unheimlich zu gleich. Nun steht der Mann direkt vor ihr. Er überragt sie um einen Kopf und schaut sie aus den gleichen schwarzen Augen an, wie alle hier unten. Sein Gesicht trägt angenehme weiche Züge. Wenn dieser durchdringende Blick nicht wäre, würde man diesen Mann für freundlich halten, für höflich und zuvorkommend ohne jedoch an Männlichkeit zu verlieren.
Sie schaut ihn unverwandt an und irgendwie hat sie so ein eigenartiges vertrautes Gefühl. Dieses Gesicht kommt ihr so bekannt vor. Und diese Fasterinnerung löst in ihr ein Wohlbefinden aus, eine seltsame Vertrautheit. Sie verspürt überhaupt keine Angst, obwohl ihr Instinkt ihr sagt, dass sie zwar nicht durch den Sturz ums Leben kam, wohl aber durch diesen Mann sterben wird. Er fixierte sie weiterhin mit seinen schwarzen Augen.
„Du kennst mich… . Du hast mich in Deinen Träumen gesehen… . Seit 7 Nächten schon besuche ich Dich jede Nacht… .“
Hörte sie ihn sprechen, oder war seine Stimme nur in ihrem Kopf? Sie sah nicht, dass sich seine Lippen bewegten. Aber der Klang seiner Stimme riefen die Erinnerungen an ihre Träume wach. Ja, es stimmte. Sie kannte ihn aus ihren Träumen. In ihren Träumen war die Welt wieder wie früher. Ohne diese Zombies. In ihren Träumen hatte sie ihn kennen gelernt. Er warb um sie, machte ihr den Hof. Klassisch und galant. Er bewirkte, dass sie sich in ihn verliebte in ihren Träumen. Und nun stand er vor ihr. Er schien ihre Gedanken zu erraten.
„Ich bin der Prinz aus deinen Träumen. Und ich werde Dich mitnehmen in mein Reich. Doch Du sollst mir freiwillig folgen.“
Sie runzelte nicht verstehend die Stirn. Da entblößte er seine Reißzähne. Schlagartig verwandelt sich ihr Wohlbefinden in Angst und sie weicht einen Schritt zurück. Weiter zurückweichen kann sie nicht, denn direkt hinter ihr steht einer der anderen Vampire.
„Ich werde Dir die Wahl lassen. Entweder Du folgst mir oder Du dienst als Nahrung für meine Brut. Entscheide Dich jetzt.“
„Vampire“ endlich bahnte sich diese Erkenntnis einen Weg in ihren Verstand. Entweder sie würde selber ein Vampir werden, oder aber diese Brut hier würde ihr Blut trinken, bis sie wirklich starb. Und sie sollte sich jetzt entscheiden. Wild wirbelten ihr Gedanken durch ihr Hirn. Völlig ungeordnet und chaotisch. Bilder von zu Hause, Bilder von dem ersten Zombie den sie erlegte und zwischendurch Vorstellungen davon, wie es sein könnte, wenn sie tot oder ein Vampir war. Vampir sein bedeutet untot zu sein. Allerdings untot mit Gedanken. Zombies dachten nicht, die existierten nur. Tot, bedeutet nicht mehr existent zu sein. Sie schaut dem Prinzen wieder in die Augen, macht einen Schritt auf ihn zu und schließt ergeben die Augen.
Stumm stehen die anderen Vampire da und schauen zu, wie ihr Prinz die junge Frau in die Arme schließt. Mit einer zärtlich anmutenden Bewegung legt er sanft ihren Kopf zur Seite und entblößt ihren Hals. Ihre Halsschlagader pulsiert im Rhythmus ihres panisch schlagenden Herzen. Dann bohren sich seine scharfen Reißzähne sich in die zarte Haut ihres Halses. Kurz nur lässt der scharfe Schmerz sie zusammenzucken. Aber wie die Spitzen der Reißzähne die Haut der Schlagader durchbohren spürt sie schon nicht mehr. Der Speichel des Vampirs hat die Bisswunde betäubt und dringt in ihren Blutkreislauf ein. Mit jedem Schluck den der Vampir trinkt steigert sich ihre sexuelle Erregung. Sie presst ihren Körper fest an den seinen. Sie will ihn spüren, sie will dass er von ihr trinkt. Sie ist berauscht von diesem Gefühl und sie will noch mehr. Als ihr Körper orgiastisch zu zucken anfängt lässt er von ihr ab. Er hat genug getrunken, etwas Blut muß noch in ihrem Körper bleiben, damit sie sein Kind werden kann. Sie klammert sich an ihn, ihr Blick bettelt darum, dass er weiter trinkt. Doch er hält sie eisern fest und wartet geduldig, bis sie sich beruhigt.
Als die Euphorie nachlässt spürt sie die Kälte und die Schwäche, die der Blutverlust mit sich bringt. Ihre Beine fangen an zu zittern und hätte der Prinz sie nicht in den Armen gehalten, wäre sie zu Boden gestürzt. Geduldig warten der Prinz und seine Brut ab, bis sie aus ihrer Ohnmacht erwacht. Entsetzlicher Hunger wühlt in ihren Eingeweiden, doch sie ist zu schwach um auf eigenen Beinen zu stehen. Der Vampir ritzt sich mit einem scharfen Messer in das Handgelenk. Schwarz und zäh rinnt sein Blut heraus. Er führt das Handgelenk an ihren Mund. Sie riecht das schwarze Blut des Vampirs und gierig leckt ihre Zunge über die Wunde. Mit ihren Lippen umschließt sie den Schnitt wie zu einem Kuß und fängt kräftig fängt an zu saugen. Köstlich rinnt das schwarze Blut ihr die Kehle hinab, füllt ihren Magen und sie möchte nie wieder aufhören zu trinken.
Still und ehrfürchtig schaut die Brut zu. Dieses Ritual hatte etwas heiliges für sie, sogar in ihrem untoten Leben. Das einzige, was ihnen heilig ist. Untotes Leben erschaffen.
Nach einiger Zeit löste er sie mit sanfter Gewalt von seinem Handgelenk. Sie war nun sein Kind, von ihm erschaffen. Sie war ihm auf ewig hörig und er für sie verantwortlich. Er war stolz auf sein neues Kind, denn sie war eine ausgezeichnete Wahl. Sie war körperlich in einem sehr guten Zustand und es schmeichelte seiner Eitelkeit, dass sie zudem auch noch sehr gut aussah. Sie würde eine lange Zeit an seiner Seite verweilen dürfen, bis er ihrer überdrüssig wurde und sich eine andere Gefährtin aussuchte. Aber bis dahin würde noch viel Zeit vergehen.

Ezri, Pinneberg, den 06.05.2002

Nachtrag: Diese Geschichte habe ich real geträumt und rasch aufgeschrieben. Ich liebe solche Träume :)

Share

Die Kommentarfunktion ist deaktiviert.